Seelische Krankheiten am GO: Gespräch mit einer Betroffenen und den Jugendsozialpädagogen

40% Prozent mehr Patientenanfragen: Corona kommt in [Psychotherapie-]Praxen an.

(Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung 12.02.21)

Die Fälle von Depressionen und Panikattacken sind im ersten Corona-Jahr weltweit um mehr als ein Viertel angestiegen.

(SWR3 10.10.21)

Schätzungsweise jeder siebte junge Mensch zwischen zehn und 19 Jahren lebt mit einer diagnostizierten psychischen Beeinträchtigung oder Störung.

(UNICEF 5.10.21)

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Wenn wir über unseren Schulhof laufen, heißt das Zählen, dass jeder siebte Schüler eine psychische Störung hat. Das sind viele Menschen. Vor allem an einer Schule mit über tausend Schülern sind es mehr als 170 Schüler, wenn man den Statistiken glaubt. Doch stimmt das wirklich? Haben wirklich so viele Mitschüler*innen an unserer Schüler eine psychische, eine seelische Krankheit? Als wir bei den Sozialpädagogen nachgefragt haben, sagten sie uns, dass dies schwer einzuschätzen sei, weil nicht jeder zu ihnen kommt und sich bei ihnen Hilfe holt. Aber sie glauben, dass mindestens 10% an einer seelischen Krankheit leiden und während einer Belastung wie den Corona-Lockdowns sogar mehr, obwohl dies sich ja ständig ändere. Das wäre also mindestens jede/r Zehnte, nicht weit davon entfernt, was auch externe Statistiken sagen.

„Dass es einem, […] wie auch eine physische Krankheit, die Kraft nimmt.“

Charlie, an einer Depression erkrankt

So beschreibt Charlie (Name auf Wunsch der Betroffenen geändert) die Depressionen, die sie selbst erlebt hat. „Man steckt [… ] in diesem niemals endenden Teufelskreis.“ Man denkt einfach zu viel nach über verschiedene Gedanken, die für andere vielleicht lächerlich rüberkommen können.

„Waste of space, another useless soul „
(Aus dem Lied „Fallen Angel von Mass of Man, das laut Charlie gut beschreibt, wie man sich während Depressionen fühlt, auf Deutsch: Verschwendung von Platz, eine weitere nutzlose Seele )

Charlie erzählte uns, dass ihre Depression vor allem dadurch ausgelöst wurde, dass sie in ihrer Kindheit zu wenig Zuneigung erfahren hatte und sie durch mehrere Umzüge immer wieder ihre stabile Umgebung verloren hat. Dies warf sie immer wieder aus der Bahn.

Ein Bild von Charlie gezeichnet wie sie ihre Seele sieht

Aber abgesehen von Depressionen gibt es noch viele weitere seelische Krankheiten, wie uns die Sozialpädagogen in unserem Gespräch aufklärten. Es gibt zum Beispiel auch noch Ängste, welche von einer Prüfungsangst bis zu einer wirklichen gravierenden Schulangst reichen können, die dann Panikattacken auslöst. Sehr häufig seien aber auch Essstörungen wie Magersucht und Bulimie. Denn auch eine Sucht sei eine seelische Krankheit, obwohl dies nicht auf den ersten Blick so erscheint.

Wie auch jede körperliche Krankheit, haben seelische Krankheiten Folgen. Die Sozialpädagogen sprachen über einen möglicherweise langen Leidensweg, bis man als Betroffener Hilfe bekommt. Das liegt häufig daran, dasss die Betroffenen Angst haben Hilfe anzunehmen oder sie sich zu holen. Für die Angehörigen bedeutet eine seelische Krankheit meistens, dass sie sich mit dieser auseinandersetzen, eine Therapie für das betroffene Familienmitglied finden und den Umgang mit der Person ändern müssen. In besonders gravierenden Fällen, wo jemand in eine psychiatrische Klinik muss, ändert dies das ganze Familienleben für die Eltern, Geschwister und andere Familienmitglieder.

Langer Weg zur Heilung

Für Charlie ist der Weg zur Heilung sehr schwer, da sie schon viel leiden musste, was ihr teilweise viel Lebenskraft nahm. Durch Personen, die eine Depression bei ihr vermutet haben und bei ihren Eltern anriefen, erfuhren diese davon. Sie besorgten ihr einen Therapieplatz bei einer Therapeutin. Mit deren Hilfe und der Hilfe einiger Freunde bekam sie auf dem langen Weg der Heilung Unterstützung – und bekommt sie immer noch.

Dass die Heilungschancen für Jugendliche sehr gut sind, bestätigen uns auch die Sozialpädagogen. Das liegt vor allem an der Flexibilität von Jugendlichen, der Veränderung des Charakters und der Veränderung der Lebensumstände, wenn man älter wird.

Trotz dieser guten Heilungschancen gibt es wie bei anderen Krankheiten auch manchmal Langzeitfolgen. Bei einigen Krankheiten bleibt zum Beispiel immer die Gefahr eines Rückfalls, beispielsweise bei Essstörungen. Dort gibt es natürlich auch gute Heilungschancen, aber trotzdem kann es immer passieren, dass man in Stresssituationen oder bei anderen Belastungen wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Andere Krankheiten hinterlassen aber auch sichtbare Narben, welche man auch noch als Erwachsener mit sich herumträgt. Dies ist zum Beispiel der Fall bei seelischen Krankheiten, bei denen sich die Betroffenen selber verletzen. Die Langzeitfolgen bei den Krankheiten sind also so verschieden wie die Krankheiten selbst.

Hilfe von den Sozialpädagogen

Wie die Sozialpädagogen bei Folgen oder aber auch während der Krankheit helfen können, haben sie uns auch erzählt. Zuerst einmal unterstützen die Sozialpädagogen dabei, eine seelische Krankheit einzuordnen, durch Gespräche, die über einen längeren Zeitraum stattfinden. Sie sprechen auch Empfehlungen für eine Therapie aus und helfen bei den organisatorischen Fakten, wie: Wo? Wer bezahlt? Was muss man dafür machen?… . Sie führen auch Gespräche mit Eltern, falls die Jugendlichen sich dies selbst nicht trauen. Die Sozialpadägogen wollen „die Hilfe erstmal anregen, damit [die Jugendlichen] dann erstmal professionelle Hilfe bekommen“, wie Anja sagt. Aber selbst wenn man schon externe Hilfe hat, sind die Sozialpädagogen für einen da. Zum Beispiel, wenn Betroffene den Unterricht nicht so gut bewältigen können, durch langes Fehlen, beispielsweise durch Klinikaufenthalte oder Krankheit. Oder auch für Schüler mit einer psychischen Krankheit, die es für sie schwer macht, am Unterricht länger teilzunehmen. Bei den Sozialpädagogen kann man sich immer eine Auszeit nehmen.

Seele des GO

Charlie wünscht sich von der Schulgemeinschaft mehr Unterstützung, vor allem von Lehrern, die manchmal kein Verständnis dafür haben, dass man es mental einfach nicht schafft, die Hausaufgaben zu machen oder bei einer Präsentation vor der ganzen Klasse zu stehen. Dieses fehlende Verständnis für seelische Krankheiten belastet sie noch zusätzlich.

Trotz allem sind die Jugendsozialpädagogen davon überzeugt, dass es unserer Schule psychisch gutgeht. Und das vor allem, weil die Schulgemeinschaft aufeinander achtet. Schon oft hatten sie die Situation, dass sie von Lehrern oder Freunden einer betroffenen Person auf eine schwierige Situation aufmerksam gemacht wurden. Besonders das, sagen sie, fasziniert sie, es sei nicht selbstverständlich.

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Author: Theresa Boehner