Hängt die Schule der Gesellschaft hinterher?

Autorin: Pia Katzorke

„Dass ich pansexuell bin, habe ich mit 17/18 durch einen TikToker herausgefunden. Er ist transgender, er wurde in einem Frauenkörper geboren, hat aber nur TikToks gedreht, in denen er ein männliches Aussehen hat. Dass er transgender ist, habe ich erst nach einiger Zeit herausgefunden und da wurde mir dann klar, dass mir das Geschlecht vollkommen egal ist“, antwortet Antonia [Name geändert], 20 Jahre, auf die Frage, wie sie ihre sexuelle Orientierung herausgefunden hat.

Insbesondere seit den letzten Jahrzehnten werden verschiedene sexuelle Orientierungen immer offener in der Gesellschaft thematisiert, gleichzeitig ist das aber auch noch für viele konservative oder streng religiöse Menschen ein Tabuthema. Da das Weltbild, Normen und Toleranz anerzogen sind, ist ein wichtiges Schlüsselelement die Schule. Auch da – wie wohl die meisten Kinder sich vorstellen können – Aufklärungsgespräche mit den eigenen Eltern unangenehm sind, ist die Schule zusammen mit dem eigenen Umfeld und dem Internet eine der wichtigsten Quellen zum Lernen.
Aber wird an unserer Schule genug Offenheit für sexuelle Vielfalt geschaffen? Oder hinkt der Unterricht der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher?

Schule und LGBQ+

LGBQ+ steht für lesbian (lesbisch), gay (schwul), bi (bi), queer (queer; Überbegriff für LGBTQIA+) und „+“, um alles Weitere mit einzufassen. Grob zusammengefasst steht LGBQ+ also für alle möglichen sexuellen Orientierungen.

Die Thematik der sexuellen Vielfalt wurde 2016 in den bayerischen Lehrplan aufgenommen, trotz Gegenstimmen vieler Kritiker*innen, die fürchteten, der Unterricht darüber könnte ihre Kinder homosexuell werden lassen. Progressiv eingestellte Personen hingegen kritisieren, dass die Lehrplananpassung lediglich die Thematisierung von Hetero-, Homo- und Bisexualität vorsieht, obwohl es weitaus mehr Diversität gibt. Außerdem zeigt eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass drei Viertel aller Jugendlichen ihr Wissen über Sexualität aus der Schule haben, wäre es nicht daher umso wichtiger, detailreicher darauf einzugehen?

„Ich habe die meisten sexuellen Orientierungen durch das Internet herausgefunden, davor hatte ich noch nie etwas über zum Beispiel Demi- oder Pansexualität gehört“, so eine Schülerin. „Aber ich bin auch eher zufällig auf Instagram darauf gestoßen, es war also mehr eine Glückssache. Und ich weiß, dass die wenigsten Leute um mich herum sich so intensiv mit der Thematik beschäftigen wie ich. Vor allem, wenn Personen ihre eigene sexuelle Orientierung noch nicht kennen, stoßen sie genau wie ich eher zufällig darauf oder können ihrer Orientierung nie einen richtigen Namen geben.“

Schwierigkeiten für nicht heterosexuelle Schüler*innen

„Kinder sind im System Schule und an Erwachsene gebunden, sie können Druck von den Eltern bekommen. Erwachsene sind da freier und auch weniger Rechenschaft schuldig“, fasst ein Mitarbeiter der Beratungsstelle Profamilia ein Problem der nicht heterosexuellen Schüler*innen zusammen. „Viele Jugendliche warten mit dem Outing bis zum Schulabschluss, da sie Ausschluss und Mobbing fürchten“, fügt er hinzu.

Auch die Sozialpädagogen an unserer Schule bestätigen: „Häufiger sind eher die Eltern nicht [mit der sexuellen Orientierung des Kindes] einverstanden, daher ist Unterstützung im Prozess mit den Eltern gut.“

Positives über die sexuelle Vielfalt am GO

Allerdings kann man auch viel Positives über unser Gymnasium zum Thema sexuelle Vielfalt sagen.

„Unsere Schule ist eigentlich ziemlich offen“, sind sich die Sozialpädagogen einig. „Wir hatten mal vor anderthalb Jahren eine Ausstellung in der Bibliothek zu dem Thema.“
Bei dieser Ausstellung konnten die Schüler*innen sich Plakate und Bücher rund um das Thema sexuelle Vielfalt ansehen. Laut Aussage der Sozialpädagogen wurde die Ausstellung auch gut angenommen, es schien die Schüler*innen zu interessieren, ohne dass die peinlichen Momente, wie man sie aus dem Sexualkundeunterricht kennt, entstanden.

Auch Schüler*innen bestätigen, dass sie keine Diskriminierung oder Ausgrenzung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erfahren haben. In der Regel können sie sogar offen genug sein, dass ihre eigenen Freunde davon wissen. Viele haben auch keine Probleme damit, sich mit ihren gleichgeschlechtlichen Partner*innen in der Schule zu zeigen.

Mögliche Verbesserungen

Wenngleich LGBQ+ Personen ihrer Meinung nach nicht benachteiligt wurden, so wirkte die Schule auch nicht unterstützend. Und das wäre wichtig, da Nicht-Heterosexuelle deutlich mehr Selbstfindung leisten müssen. Doch wie  eine solche Unterstützung aussehen soll, da gehen die Ansichten auseinander.

Die eigene sexuelle Orientierung ist ein sehr intimes und persönliches Thema, das prinzipiell erstmal Privatsache ist –niemand muss also seine sexuelle Orientierung öffentlich preisgeben, so die Sicht der Schulpsychologen. Viel wichtiger ist es, bei Mobbing und diskriminierenden Kommentaren vor allem als Lehrer*in einzuschreiten und eine generelle Offenheit dafür zu schaffen, dass jede*r jeden*r lieben darf, ohne sich dafür schämen zu müssen. Eine Schülerin hingegen schlug einen Aktionstag vor, also einen Pride Tag. Auch die Thematisierung im Unterricht kann  ein Gefühl von Sicherheit geben, da Unsicherheit im Bezug auf die eigene sexuelle Orientierung für viele eine Belastung sein kann.
„Nachdem es auch erst seit ein paar Jahren im Lehrplan drinsteht, wird es auch erst seit ein paar Jahren verstärkt thematisiert“, merkt eine Biologielehrerin an. Des Weiteren sagt sie, dass wir am GO zum Glück eine sehr junge und aufgeschlossene Fachschaft Biologie haben, die der Thematik genügend Raum  gibt, sich allerdings dabei auch am Interesse der jeweiligen Klasse orientiert. Schwierigkeiten liegen hier darin, dass die Schüler*innen teilweise zu unreif sind oder auch nicht alle Schüler*innen einer Klasse miteinander befreundet sind und sich deswegen unwohl fühlen, intime Themen im Plenum zu besprechen.
Ebenfalls sieht sie die Möglichkeit, sexuelle Vielfalt in viele Fächer mit einzubinden. Ethik oder Religion, in Geschichte, Klassenleiterstunden, Biologie, aber auch die Idee eines Aktionstags fände sie gut. Wichtig wäre ihr vor allem das vielfältige Aufgreifen des Themas, also von verschiedenen Aspekten aus und auf verschiedene Arten. Beispielsweise durch Vorträge von außenstehenden Personen mit fachlichem Hintergrund, die Fakten vermitteln, interaktive Angebote wie Gesprächs- und Diskussionsrunden, Thementage und der Besuch von LGBQ+ Personen, denen die Schüler*innen Fragen stellen können. Dafür könnten die Lehrer*innen auch das Klassenzimmer verlassen, um den Schüler*innen mehr Offenheit beim Stellen der Fragen zu ermöglichen.

Zwei Mädchen mit Regenbögen auf den Armen

Eine Möglichkeit, die alle für gut befanden, ist, Schulbücher umzuändern, die derzeit stark heteronormativ geprägt sind. Heteronormativ bedeutet, dass Heterosexualität als Norm gesehen wird und jede andere sexuelle Orientierung dadurch ‚unnormal‘ ist. Vor allem in den unteren Jahrgangsstufen gibt es noch viele Comics in den Schulbüchern, in denen allerdings nur heterosexuelle Familien vertreten sind. Wenn man in Schulbücher bereits nicht heterosexuelle Familien einbauen könnte, würde sexuelle Vielfalt auf passive Weise normalisiert werden, allerdings liegt eine Schulbuchänderung zugegebenermaßen nicht im Möglichkeitsbereich unserer Schule.

Insgesamt ist also unser Schulklima offen und fortschrittlich, auch unterstützt durch die Offenheit der Lehrer*innen. Allerdings ist das leider nicht an allen Schulen der Fall, denn natürlich können Schulen nur eingeschränkt das Verhalten der Schüler*innen beeinflussen, welches auch stark von der Familie und dem sozialen Umfeld geprägt wird.

„Wenn wir, die LGTBQ+ Community, weiter darüber reden und Eltern anfangen, ihren Kindern offen darüber zu erzählen und so zu erziehen, dass es in ihren Köpfen auch als ‚normal‘ angesehen wird, dann wird sich die Gesellschaft gegenüber Beziehungsformen, Sexualitäten und sexuellen Orientierungen weiter öffnen“, sagt Antonia. Sie selbst geht seit anderthalb Jahren nicht mehr in die Schule, wünscht sich aber für alle zukünftigen Schüler*innen mehr Thematisierung der sexuellen Vielfalt im Unterricht, um jedem die Findung seiner eigenen Orientierung zu erleichtern und gesellschaftlich mehr Akzeptanz zu schaffen.


Wenn dich das Thema interessiert und du mehr über sexuelle Identitäten und Orientierungen lernen möchtest, kannst du diesen Link nutzen: https://queer-lexikon.net/

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